Bemerkenswert

Über die AG

cropped-cropped-bildschirmfoto-2016-06-14-um-17-36-142.pngSeit 30.5.2012 trifft sich an der Fakultät 11 regelmäßig eine Arbeitsgruppe „Soziale Arbeit“. Die AG wurde von Kolleginnen und Kollegen gegründet, die ihre theoretischen und praktischen Wurzeln in der Sozialen Arbeit sehen. Sie verfolgen damit das Anliegen, der Sozialen Arbeit in dem sehr heterogenen Kollegium der Fakultät eine deutlichere Stimme zu verleihen. Außerdem sollte die Identitäts- und Habitusentwicklung für die Soziale Arbeit an der Fakultät gestärkt sowie ein Diskursort zu Fragen der Sozialen Arbeit geschaffen werden. Für die Umsetzung fand sich eine Gruppe (Markus Kaufmann, Gunda Sandmeir, Gerd Stecklina), die das Organisatorische in die Hand nahm. Zur Mitarbeit an der AG konnten ca. 15 engagierte Kolleg_innen gewonnen werden, die sich bis heute 3-4 mal pro Semester treffen.

Diese Webseite informiert über Themen und Veranstaltungen der AG.

Ansprechpartner*innen der AG: Birgit, Baumeister, Gunda Sandmeir und Gerd Stecklina

Mehr über die AG: Über die AG

Fachtag der AG Soziale Arbeit zum Thema „Armut als (wenig sichtbares) Querschnittsthema in Lehre, Forschung & Praxis?“

Texte zusammengestellt von Gunda Sandmeir, Gerd Stecklina und Birgit Baumeister

Im Teil zwei zum Fachtag werden nun die Workshops kurz beschrieben. Wenn Ihr Interesse geweckt wurde, können Sie unter folgendem Link https://syncandshare.lrz.de/getlink/fiGf9pEVRpVU6AMmiFjfkP/ ausführlichere Beschreibungen herunterladen.

Workshop 1/1 Prof. Dr. Regine Schelle: Armutssensibles Handeln in kindheits- und sozialpädagogischen Handlungsfeldern

Armut im Kindes- und Jugendalter ist mit vielfältigen negativen Konsequenzen für die Kinder, Jugendlichen und deren Familien verbunden. Entsprechend sind kindheits- und sozialpädagogische Fachkräfte in ihrem professionellen Handeln herausgefordert, armutssensibel zu agieren. Im Workshop wurde gemeinsam erarbeitet und reflektiert, welche beruflichen Kompetenzen dafür erforderlich sind und wie sich das Trilemma des armutssensiblen Handelns beschreiben lässt. Ziel war es, die kindheits- und sozialpädagogischen Institutionen als Ort der Reproduktion sozialer Ungleichheit zu reflektieren sowie professionelle Handlungsoptionen zu diskutieren. Das zusammenfassende Statement lautet:  „Armutssensibilität setzt Armutsbetroffenheit auf allen Ebenen des Systems der Kinder- und Jugendhilfe voraus, damit die paradoxen Situationen im professionellen Handeln reflektierbar werden!“

Workshop 1/2 Prof. Dr. Monika Brönner / Dr. Gerd Reifferscheid:

(Psychische) Gesundheit/Krankheit von wohnungslosen Menschen

Der Gesundheitszustand von wohnungslosen Menschen ist sehr häufig beeinträchtigt. Sowohl im Bereich der somatischen als auch der psychiatrischen Medizin finden sich bei wohnungslosen Menschen stets erhöhte Morbiditätsraten und auch Mortalitätsraten.

Im Workshop wurden die Ergebnisse der SEEWOLF-Studie („Seelische Erkrankungsrate in den Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe im Großraum München“) und das Forschungsprojekt „Gesundheitsvorsorge wohnungsloser Menschen“ vorgestellt. Im Anschluss wurden die Ergebnisse diskutiert und Erfahrungen ausgetauscht.  Das zusammenfassende Statement lautet: „Der Gesundheitszustand wohnungsloser Menschen ist sehr häufig beeinträchtigt. Appell: Forschung, Versorgung und Vernetzung müssen vorangetrieben werden!“

Workshop 1/3 Prof. Dr. Jutta Schröten:  Sozial- und finanzpolitische Perspektiven auf ökonomische Ungleichheit und Soziale Arbeit

Täglich haben SozialarbeiterInnen mit den Auswirkungen von sozial- und finanzpolitischen Entscheidungen zu tun. Im Workshop wurden unterschiedliche Perspektiven auf ökonomische Ungleichheit eingenommen, analysiert und in ihrer Bedeutung für die Soziale Arbeit diskutiert. Die Analyse wurde nicht abstrakt, sondern an ausgewählten Beispielen ausgeführt. Perspektiven lösen ökonomische Ungleichheit nicht auf, vielleicht helfen sie im Verständnis und in der Profession. Herzliche Einladung zur Diskussion und zum Weiterdenken. Das zusammenfassende Statement lautet: „Wir brauchen mehr politisches Wissen und den Mut, Verhältnisse ändern zu wollen!“

Workshop 1/4 Rita Bliemetsrieder: Adil: Meister des Lebens in erschwerenden Bedingungen – Armut auf den zweiten Blick in der Forschung

In dem Workshop stand der Übergang Schule-Beruf im Zentrum der Betrachtung und damit zusammenhängend die Herausforderungen, die Jugendliche und junge Erwachsene in dieser (entstandardisierten) Statuspassage zu ‚meistern‘ haben. Dass diese Herausforderungen sehr differenziert und individuell gerahmt sowie in gesellschaftliche Verhältnisse eingebettet sind, lässt sich am Fall Adil gut nachvollziehen. Exemplarisch wurde gezeigt, wie die subjektorientierte Übergangsforschung einerseits ihren Blick auf individuelle Handlungspraxen und Bewältigungsleistungen lenkt und andererseits auch immer gesellschaftliche Verhältnisse und Strukturen betrachtet und mit bedenkt. Dass auch Fragen von Armut unweigerlich darin aufscheinen, diese aber eines spezifischen Blicks auf das empirische Material bedürfen, wurde in diesem Workshop gemeinsam erarbeitet werden. Das zusammenfassende Statement lautet: „Entkopplung von Handlungsspielraum/Entscheidungsmöglichkeiten und sozialer Herkunft!“ und „Politische Arbeit von Praxis & Forschung an den richtigen Stellen!“

Workshop 1/5 Prof. Dr. Katja Stoppenbrink / Prof. Dr. Ute Kötter: Kinderarmut und Kindergrundsicherung. Ethische und rechtliche Perspektiven

Die Frage einer Kindergrundsicherung kann sehr theoretisch und abstrakt diskutiert werden. Dann geht es z.B. darum, wie sich Verteilungsgerechtigkeit und Chancengleichheit herstellen und Kinderarmut vermeiden lassen. Es handelt sich um eine internationale wissenschaftliche Diskussion in Philosophie und Ethik, Wirtschafts- und Sozialwissenschaft sowie weiteren Fachrichtungen.

Die Frage einer Kindergrundsicherung lässt sich zugleich sehr konkret und diskursbezogen vor dem Hintergrund der deutschen Sozialrechtskulisse mit ihren familienbezogenen Leistungen und den für Deutschland vorgeschlagenen Modellen argumentieren.

In diesem Workshop wurden beide Ebenen miteinander verzahnt und in aller Kürze ethische und rechtliche Hintergründe der Debatte in Deutschland betrachtet. Die vorgetragenen Argumente wurden pro und contra unter die Lupe genommen, um für die Diskussion um die Kindergrundsicherung gut gewappnet zu sein. Das zusammenfassende Statement lautet: „Kindergrundsicherung – Just do it!“ und „Sozialleistungen für Kinder in einer Leistung zusammenfassen und das Arbeitseinkommen der Eltern nicht mehr auf diese anrechnen!“

Workshop 1/6 Prof. Michael Nitsch: Menschen und ihre Geschichten. Kinderschutzperspektiven im Kontext von Armutslagen – Gesehen ja, doch auch erkannt?

Entlang einer Fallvignette wurden Bezüge sowohl zu den aktuell vorherrschenden Gefährdungslagen hergestellt als auch das soziale Konstrukt „Kindeswohlgefährdung“ und dessen fachliche Implikationen auf das eigene professionelle Handeln diskutiert.

Das Fallverstehen als Basis der Beziehungsgestaltung in der Kinderschutzarbeit ist ein voraussetzungsvolles sowie anspruchsvolles Unterfangen, in dem komplexe gesellschaftliche und fallspezifische Anforderungen und Fragestellungen ihre Wirkung entfalten. Diskutiert wurden folgende Fragen: Welche Gefährdungslagen beschäftigen die Professionellen im Besonderen? Worauf richten dabei die bestehenden Kinderschutzarrangements ihren Blick? Welche gesellschaftlichen Erwartungen einer „Präventionsgesellschaft“ spiegeln sich in den fachlichen Anforderungen? „Risikofamilien“ oder Familien mit Risiken? Wobei gilt es standzuhalten, wenn die Soziale Arbeit das Prädikat „pädagogisch“ (wertvoll) beibehalten will? Das zusammenfassende Statement lautet: „Individuelle Gefährdungsbeurteilung muss eine politische Dimension haben.“ und

 „Bildung als Chance“

Workshop 1/7 Isabelle Riedlinger: Prekäre Arbeitsbedingungen in der Sozialen Arbeit. Ansätze, Ideen und Handlungsspielräume

Im Workshop wurde einführend das komplexe Feld der Zusammenhänge rund um das Thema der Arbeitsbedingungen in der Sozialen Arbeit aufgespannt. Unterschiedliche Kriterien „guter Arbeit“ wurden veranschaulicht, ein Spotlight auf den deutlich ausgeprägten Fachkräftemangel gelegt und die intersektionale Verflochtenheit von Care-Arbeit im Hinblick auf ihre gesellschaftliche Notwendigkeit einerseits und ihre strukturelle Ab-Wertung andererseits hervorgehoben. In Kleingruppen wurde erarbeitet, welche Ideen, Möglichkeiten und Handlungsspielräume die jeweiligen Statusgruppen der Studierenden, Mitarbeitenden der Sozialen Arbeit und Lehrenden haben, um Arbeitsbedingungen in der Sozialen Arbeit aktiv zu beeinflussen. Das zusammenfassende Statement lautet: „Prekäre Verhältnisse adressieren – auf allen Ebenen!“

Workshop 1/8 Prof. Dr. Heribert Limm / Gwendolyn Schweizer (Landkreis München)

Leben am Existenzminimum und Armut ist für 16,4% der deutschen Bevölkerung Alltag (Paritätischer Armutsbericht 2021). Betroffene leiden nicht nur unter den häufig öffentlich diskutierten geringeren beruflichen und gesellschaftlichen Teilhabechancen. Die tägliche Konfrontation mit dem soziokulturellen Existenzminimum hinterlässt auch in der psychischen Gesundheit ihre Spuren. Im vorgestellten Forschungsprojekt wurden KlientInnen verschiedener Beratungsangebote/sozialer Betriebe für Langzeitarbeitslose und Armutsgefährdete zu verschiedenen Aspekten ihrer „Mental Health“ befragt. Die Ergebnisse wurden im Workshop vorgestellt und Praxisbeispiele illustrierten die Vielschichtigkeit von individuellen Problemlagen. Diese wurde in der Diskussion aufgegriffen und führte zu der Aussage, dass Individualisierung und psychotherapeutische Optimierungsmodelle keine Lösungswege darstellen, sondern dass es vielmehr gesellschaftliche und politische Bemühungen („Gestaltung des öffentlichen Raumes“) geben muss, um die Lebensbedingungen der Betroffenen wirksam zu verändern. Das zusammenfassende Statement lautet: „Teilhabe und Teilgabe ermöglichen“ und „Niedrigschwellige, aufsuchende ganzheitliche Zugänge im Sozialraum/Netzwerk anbieten und ausbauen“ sowie „Empörung und Selbstfürsorge!“

Workshop 1/9 Prof. Dr. Stefan Pohlmann: Alter und Armut

Im Workshop wurden Zahlen und Befunde zum Thema Alter und Armut vorgestellt und hinterfragt. Zugleich wurden blinde Flecken benannt, wenn wir Armutsgefährdungen aktueller und künftiger Generationen alter Menschen einzuschätzen versuchen.

Auf dieser Grundlage standen im Weiteren mögliche Ansätze zur Bekämpfung und Abmilderung einer materiellen Deprivation unter Berücksichtigung multipler Problemlagen in einer alternden Gesellschaft zur Diskussion. Zugleich wurden u.a. verbliebene Ressourcen, Fragen der intragenerationellen Solidarität und Verwirklichungschancen im höheren Lebensalter erörtert. Das zusammenfassende Statement lautet: „Politische Arbeit und Soziale Arbeit gehören zusammen“ „Alte Menschen sind Problem und Problemlösung zugleich“ „Angebote flächendeckend und einfach für jede:n zugänglich“

Workshop 2/1 Prof. Dr. Klaus Weber: Armut und Kapitalismuskritik – ein Denkraum

„Reicher Mann und armer Mann standen da und sah’n sich an.

Da sagt der Arme bleich: Wär ich nicht arm, wärst du nicht reich“

So heißt es in einem Gedicht Bertolt Brechts. Wie entsteht gesellschaftlicher und individueller Reichtum in unserem Land? Welche Rolle spielen das Wirtschaftssystem und der Staat? Wieso werden seit Jahren die Armen ärmer und die Reichen reicher – bundes- und weltweit? Ist das so gewollt und falls ja, von wem? Oder ist das dem System „Kapitalismus“ immanent?

Fragen über Fragen, die wir alle nicht gleich beantworten können, weil die sehr komplex sind. Aber wir können zumindest anfangen darüber nachzudenken. Das zusammenfassende Statement lautet: „Kapitalismus abschaffen! Aber wir wissen nicht, wie…“

Workshop 2/2 Prof. Emily Engelhardt: Armut und digitale Teilhabe

Der Workshop adressierte die Herausforderungen digitaler Benachteiligung, speziell bei von Armut betroffenen Menschen. Denn sie verfügen häufig über unzureichende technische Ausstattung und Fähigkeiten, um digital teilzuhaben. Digitale Armut wurde als neue Form gesellschaftlicher Ausgrenzung thematisiert, wobei drei Schlüsselbereiche im Mittelpunkt stehen: Zugang, Befähigung und Partizipation. Es wurden aktuelle Forschungsergebnisse vorgestellt, die das Ausmaß der Problematik veranschaulichten. Die Rolle der Sozialen Arbeit wurde mit dem Ziel diskutiert, digitale Bildung zu fördern und den Zugang zu verbessern, um eine aktive Teilhabe in der digitalen Welt für alle zu ermöglichen. Das zusammenfassende Statement lautet: „Digitalisierung geht nicht mehr weg“ und „Fachkräfte verfügen über zu wenig bis gar keine digitalen Kompetenzen und Geräte“ sowie „Langfristiges Recht auf analoge Angebote“

Workshop 2/3 Prof. Dr. Ute Kötter und Studierende der HS München: „Warum kümmert sich niemand darum? Armut in der Praxis der Sozialen Arbeit?“ Erfahrungsberichte aus dem Theorie-Praxis-Seminar Armut

Einführend stellten Studierende ihre Praxiseinrichtungen vor:

  • Marie Fleischmann (AWO, Offener Tagestreff Otto & Rosi)
  • Nick Czerny  (AWO Info-Zentrum Migration und Arbeit)

Das zusammenfassende Statement lautet: „Verdeckte Armut muss in der Praxis und an der Hochschule thematisiert werden!“

Workshop 2/4 Dörthe Friess (KJF Lichtblick Hasenbergl): Wir reden über Armut? Tabus, Scham und Chancen – eine Praxisreflexion

„Ich habe als Kind und Jugendliche immer versucht unsere Armut zu verstecken. Man schämt sich dafür und denkt, man ist mit seiner Familie selber schuld.“, beschreibt Aicha, 24 Jahre, ihre Erfahrungen. In der Einrichtung Lichtblick hat sie sich gemeinsam mit anderen jungen Menschen im Projekt „Aufwachsen in Armut – lass uns reden“ seit 2021 mit ihren Armutserfahrungen auseinandergesetzt. Verwundert stellten die jungen Menschen fest, wie ähnlich ihre Geschichten sind. Ein Fazit der Teilnehmer*innen ist: „Reden über Armut kann entlasten, offen reden können wir jedoch nur im geschützten Rahmen.“

Im Workshop wurde gemeinsam darüber nachgedacht, wie und warum über Armut geredet wird. Es wurde über die Wirkung von Tabus (wie Armut) auf betroffene Menschen sowie auf Fachkräfte gesprochen. Und wenn Scham als Reaktion auf das Tabu, schützt und verhüllt: „Wie gelingt Reden über Armut ohne bloßzustellen?“

Ein kurzer Bericht über das Projekt „Lasst uns Reden“ mit filmischen Einblicken stellte die Erfahrungen zur Verfügung. Das zusammenfassende Statement lautet:  „Jugendliche werden politisch, wenn das Thema Armut nicht individualisiert wird“ und „Enttabuisierung des Themas Armut bei gleichzeitigem Schutz der Betroffenen!“

Workshop 2/5 Prof. Dr. Ursula Unterkofler / Denise Feldner (Condrobs): Armut und Drogenkonsum. Hochschule und Praxis im Dialog

Im Workshop wurde darüber gesprochen, welche Zusammenhänge zwischen Drogenkonsum und Armut bestehen, wie sich Armut der Adressat:innen niedrigschwelliger Drogenhilfe äußert und welche Handlungsansätze zur Bearbeitung von Armut in diesem Arbeitsbereich praktiziert werden. Es entstand ein Raum des fachlichen Austauschs, in dem die Expertisen aller Beteiligten, ihre Erfahrungen und Fragen ihren Platz fanden. Neben Fachkräften aus der Wohnungslosenhilfe und der Straffälligenhilfe zeigten sich vor allem viele Studierende interessiert am Thema und beteiligten sich an der lebendigen Diskussion. Das zusammenfassende Statement lautet: „Drogenkonsum und Armut führt durch Kriminalisierung zu Exklusion auf ökonomischer, gesundheitlicher und gesellschaftlicher Ebene“

Workshop 2/6 Prof. Dr. Angelika Iser: Nachhaltigkeit und Armut

Es gibt viele Bezüge zwischen Armut und Nachhaltigkeit. Mit kleinen Impulsen rund um Nachhaltigkeit und Armut wurde ein Denkraum eröffnet für den Austausch untereinander.

So konnte den Fragen nachgegangen werden, die sich in der Sozialen Arbeit zunehmend stellen, wie: Welche Rolle spielt Armut für Nachhaltigkeit? Und welche Rolle spielt (fehlende) Nachhaltigkeit für Armut? Ist Nachhaltigkeit überhaupt ein Thema für Soziale Arbeit? Kann es ein Thema sein für Soziale Arbeit mit armen Menschen, die doch ganz andere Probleme dringlicher zu bewältigen haben? Was ist dabei der Auftrag von Sozialer Arbeit? Und wie sieht das im globalen Zusammenhang aus? Das zusammenfassende Statement lautet: „Nachhaltigkeit und Armut bringt Soziale Arbeit an ihre Grenzen! Es ist notwendig, auf Einzelfälle aber auch auf gesellschaftliche Zusammenhänge/Strukturen zu sehen!“

Workshop 2/7 Prof. Dr. Katrin Reich: Behinderung und Armut

Was bedeutet Armut für Menschen mit Beeinträchtigungen? Sind Menschen mit Beeinträchtigungen häufiger von Armut betroffen? Welche Rolle spielt Armut bei der Entstehung von Beeinträchtigungen? Und welchen Zusammenhang gibt es nun zwischen Armut, Beeinträchtigung und Behinderung? Gemeinsam wurden diese Fragen diskutiert und die Aufgabe der Sozialen Arbeit herausarbeiten. Das zusammenfassende Statement lautet: „Armut durch fehlende soziale Teilhabe!“

Workshop 2/8 Prof. Dr. Gabriele Vierzigmann und Luis Teuber (Diakonie Hasenbergl): Genug mit dem Elend! Wie steht es beim Thema Familien in Armut um den Transfer zwischen Hochschule und Praxis?

Der Forschungsstand zu Kindern, Jugendlichen und Familien in Armut ist aussagekräftig, die Fachkräfte wissen um die Brisanz dieses Themas und sind durch dessen Erleben täglich in hohem Maße herausgefordert. Wie können Studierende auf das Arbeitsfeld vorbereitet werden und wie kann der Austausch zwischen Hochschulen und Praxis verstärkt, wie transdisziplinäre Aktivitäten initiiert werden?

Mit Blick auf die Ausbildung der Studierenden wurden Kompetenzen einfordert, z.B. hinsichtlich des Umgangs mit der Nicht-Inanspruchnahme von Sozialleistungen, mit den realen Erfordernissen im Kinderschutz, im Hinblick auf Selbstreflektionsfähigkeit und auf eine nicht-stigmatisierende, empathische Haltung gegenüber von Armut betroffenen Familien. Viele Teilnehmende betonten die Notwendigkeit, Forschung, Lehre und Praxis zu kombinieren, dafür neue Wege zu finden und Fall- und Projektstudium in enger Verschränkung von Trägern und Hochschule auszubauen. Dies könnte auch dazu führen, dass in Gesamtzusammenhängen gelehrt werden und die Studierenden mit mehr Sicherheit in die herausfordernde Praxis gehen könnten. Das zusammenfassende Statement lautet: „Theorie in die Praxis / Praxis in die Theorie!“ „Wissen, Können, Fachlichkeit und Haltung in kooperativen Lernorten entwickeln“

Abschlussfeier der Bachelorstudiengänge Soziale Arbeit

von Nicole Pötter

Traditionell werden den Absolvent:innen der Fakultät für angewandte Sozialwissenschaften am „Tag der Notenbekanntgabe“ Ihre Bachelorurkunden überreicht. So auch in diesem Jahr. Es gab Reden vom Dekan und den Studiengangleitungen, Rosen und ein Gläschen Sekt für die Absolvent:innen. Alles so wie immer. Neu war, dass für den Studiengang Soziale Arbeit in diesem Jahr ein Studierender ebenfalls eine Rede hielt: Sebastian Taylor, ein während des Studiums an der Fakultät sehr engagierter Student und Peer-Coach, der nun selbst kurz vor dem Abschluss seines Studiums steht.

Sebastian Taylor bei seiner Abschlussrede. Foto: Nicole Pötter

Er offenbarte, dass er es „krass“ findet am Ende seines Studiums angekommen zu sein, denn er erinnere sich noch sehr gut an seinen ersten Tag, wo – ebenfalls im Audimax – die Erstsemestereinführung stattfand. Er wäre sehr aufgeregt gewesen und gleichzeitig hätte er sich angekommen gefühlt. Da hätte er noch nicht geahnt, was in der Studienzeit alles auf ihn zukommen würde. So berichtet Herr Taylor von den Herausforderungen und Zumutungen während der Corona-Pandemie, dem Beginn des Kriegs in der Ukraine mit den Folgen Energiekrise und Inflation: „Shoppen macht keinen Spaß mehr, Shoppen tut jetzt weh“. Auch die rund 80 Anwesenden Absolvent:innen und ihre Angehörigen, die Dozent:innen und Mitarbeiter:innen erinnern sich an kalte Büros und Flure, die zum Teil kälter schienen als die Außentemperaturen. Aber die eigentliche Botschaft von Sebastian Taylors Rede ist eine andere. Es geht ihm um den Wert der Sozialarbeiter:innen und was sie im Studium gelernt haben. Er kolportiert, dass Studierende der anderen Fakultäten manchmal auf die Sozialarbeitsstudierenden herabschauen würden, weil sie komplizierte Formel anwenden und wirtschaftliche oder hydraulische Berechnungen machen könnten. „Der Mensch ist so komplex,  für den haben wir noch nicht einmal eine Formel“, hält Herr Taylor ihnen entgegen. Daher sei er stolz darauf, in Zukunft in der Soziale Arbeit tätig werden zu können. Seinen Kolleg:innen ruft er zu: „Kennt euren Wert. Wir sind die junge neue Generation an Sozialarbeiter: innen.“ Und der aufbrandende Applaus macht deutlich, dass nicht nur er, seinen Wert kennt.

Fachtag der AG Soziale Arbeit zum Thema „Armut als (wenig sichtbares) Querschnittsthema in Lehre, Forschung & Praxis?“

Gerd Stecklina, Gunda Sandmeir, Birgit Baumeister

1. Teil 04.08.2023

In der AG Soziale Arbeit setzten sich Kolleginnen und Kollegen der Fakultät für angewandte Sozialwissenschaften im Februar mit dem Thema „Jugend ein Armutsrisiko“ auseinander. Als thematische Fortsetzung wurde Ende Juni mit dem Fachtag zu Armut als Querschnittsthema der Diskurs für Fachkräfte aus der Sozialen Arbeit, Lehrende, Forschende und Studierende geöffnet. In 17 Workshops wurde das Thema „Armut“ aus verschiedenen Perspektiven bearbeitet.

Der Fachtag stieß auf großes Interesse, so dass die geplante Teilnehmer:innenzahl von 80 bis 100 bei Weitem übertroffen wurde. Besucht haben den Fachtag 180 Personen, davon waren zur Hälfte Fachkräfte aus unterschiedlichen Arbeitsfeldern der Sozialen Arbeit, die andere Hälfte waren Studierende und Angehörige aus verschiedenen Hochschulen.

Als Einstieg zum Fachtag zeigte der Gastredner Prof. Dr. Marquardsen, der an der Hochschule Kiel eine Professur für Armut und sozialer Ungleichheit im Kontext Sozialer Arbeit innehat, das Ausmaß und die Folgen von Armut auf. Er verdeutlichte die strukturelle Armutsproblematik, die gesellschaftlicher und politischer Lösungsansätze bedarf. Darüber hinaus erörterte er Armut in ihrer individuellen Ausprägung als schambehaftete Begrenzung von Lebens- und Entwicklungsmöglichkeiten. An den Vortrag schlossen sich 9 Workshops an, in denen Armut aus der Perspektive von Lebensalter und Lebensphasen, aus sozialpolitischer sowie aus juristischer und ethischer Perspektive diskutiert wurden.

Im zweiten Vortrag am Nachmittag wurden von Joachim Hayen (Fachstelle Armutsbekämpfung der Stadt München) anhand des Münchner Armutsberichts 2022 die konkreten Zahlen von Armut in München vorgestellt. In der darauffolgenden Workshoprunde, die nun der offenen Diskussion und der (Weiter-)Entwicklung von Themen vorbehalten war, wurden Armut aus kapitalismuskritischer und digitaler Perspektive sowie Armut im Kontext von Scham, Behinderung, Familie und Drogenkonsum betrachtet. In einem von Studierenden und einer Dozentin gestalteten Workshop wurde die Frage aufgeworfen, wie mit Armut in der Praxis der Sozialen Arbeit umgegangen wird.

Zu fragen bleibt, was für ein Resümee wir aus dem Fachtag ziehen? Deutlich wurde, (1) dass die Fachkräfte der Sozialen Arbeit zunehmend mit Armutslagen konfrontiert sind und dabei an ihre Grenzen stoßen, was die Veränderung der Lebensumstände der Adressat:innen betrifft. (2) Dass es mehr gemeinsame Diskurs- und Entwicklungsräume für Praktiker:innen, Lehrende, Forschende und Studierende und nicht zu vergessen, für Adressat:innen und Zivilgesellschaft geben sollte. (3) Dass auch die Politik stärker in die Verantwortung genommen werden muss, vor allem in Hinblick auf die strukturelle Ebene von Armut.

Nähere Ausführungen zu den Workshops folgt zeitnah in Teil 2 des Beitrags.

Bist du bereit etwas zu bewegen?

Beitrag von Dörthe Friess, Bereichsleitung Pädagogik und Know-How-Lichtblick Hasenbergl

Regionales Forum – was brauchen junge Menschen in Feldmoching Hasenbergl?

Nach dem Motto „Lass deine Gedanken sprechen und teile sie mit Politiker*innen!“ fand am Freitag, den 23.06.2023 mit vielen jungen Menschen aus dem Stadtbezirk Feldmoching Hasenbergl ein regionales Forum statt. Im Fokus stand die Frage: Was macht das Aufwachsen für armutsbelastete junge Menschen in der Region schwierig?

Das Besondere: von der Themenentwicklung bis zur Moderation standen die jungen Menschen vorne und bestimmten den Weg und Inhalte der Veranstaltung. In zahlreichen Workshops, in Kuchenpausen und danach beim gemeinsamen Grillen diskutierten sie ihre Anliegen, Erfahrungen und Sorgen mit Politiker*innen und Expert*innen aus der Verwaltung.

Und das waren die Themen:

  • „Geld ist nicht alles – oder doch?“
  • „Was ist uns Gesundheit wert?“
  • „Buntes Jugendleben in der Stadt – wie kann´s gehen?“
  • „Bildung ist die Zukunft – für alle?“
  • „Wohlfühlen im eigenen Viertel – was fehlt?“
  • „Wie erfahre ich von Hilfen?“

In einem sehr offenen, lebendigen Austausch wurde von Schwierigkeiten und Erfahrungen der jungen Menschen erzählt, Probleme aufgezeigt und mit Verständnis, Ungeduld und Humor nach Wegen gesucht.

Für die jungen Menschen war es eine wichtige Erfahrung, gehört zu werden und auf Augenhöhe mit den Entscheidungsträger*innen zu sprechen. Die Politiker*innen und Vertreter*innen aus der Verwaltung waren beeindruckt von reflektierten Positionen und zeigten zugleich, dass viele der Probleme bekannt sind. Interessant war es gemeinsam über Lösungen nachzudenken und Schwerpunkte zu setzen. „Manchmal dauert es zu lange, bis Vorschläge umgesetzt werden, hier müssen wir schneller werden“, sagte ein Stadtrat selbstkritisch. Und parteiübergreifend wurde versichert, dass die Statements und Vorschläge in den Wirkungsbereichen weiterverfolgt werden. Wir sind gespannt und werden mit unseren engagierten jungen Leuten dranbleiben.

Dörthe Friess, Lichtblick Hasenbergl und Friederike Goschenhofer, REGSAM

Die Veranstaltung fand in den Räumen der Einrichtung Lichtblick Hasenbergl unter der Leitung von REGSAM und dem Sozialreferat / Stadtjugendamt statt. Wir danken dem engagierten, jungen Vorbereitungsteam mit Moderator*innen und „Workshopleiter*innen, allen kooperierenden Institutionen (Lichtblick, Club, Dülfers, Jump-In, Kiste, REGSAM, UnS und dem Stadtjugendamt).

Was versteht man unter dem Begriff Hilfen … Hiermit sind sowohl staatliche Unterstützungsleistungen (Sozialleistungen vielfältiger Art wie Ferienprogramme, Bewerbertrainings, Beratungsangebote, staatliche finanzielle Unterstützungsleistungen, …) als auch lokale Einrichtungen, Initiativen und nachbarschaftliche Hilfe (z.B. Essenstauschstellen, Nachhilfe, …) u.v.m. gemeint.

LokU 2.0 beginnt seine Forschung in unruhigen Zeiten

Text von Theresa Grüner und Nicole Pötter

Im Februar 2023 startete das Projekt LokU 2.0 (Lokale Unterstützungsketten für junge neu Zugewanderte), seit Mitte Juli ist das Projektteam nun vollständig. LokU 2.0 wird aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) finanziert. Inhaltlich schließt es an das vorangegangene Forschungsprojekt LokU an, erweitert jedoch den Blick auf junge Zugewanderte mit und ohne Fluchthintergrund und nimmt die durch die Corona-Pandemie verursachten Veränderungen bei den Integrationsbemühungen in Ausbildung und Arbeit in den Fokus. Ausgangspunkt unserer Überlegungen ist, dass Krisen auch soziale Innovationen befördern. Darum wollen wir bei LokU 2.0 den durch die Corona-Pandemie ausgelösten Wandel und die sich ergebenden Potenziale näher betrachten.

Gegenwärtig scheint die Corona-Krise aufgrund der neuen Herausforderungen, bspw. den Folgen des russischen Kriegs gegen die Ukraine, keine Rolle mehr zu spielen. Ein Blick in den Bildungsbereich und die Jugendsozialarbeit belehrt uns jedoch eines Besseren. Der Bundesverband InVia – Katholischer Verband für Mädchen- und Frauensozialarbeit berichtete erst kürzlich von coronabedingten Auswirkungen, die sich nach wie vor bei jungen Menschen zeigen: Anstieg von Schulabstinenz, Zunahme von psychischen Belastungen, sozialer Rückzug, fehlende Sozialkompetenzen in Gruppensituationen (InVia a; InVia b). U.a. die Arbeitsgemeinschaft „Weinheimer Initiative“, die sich für eine bessere kommunale Koordinierung beim Übergang Schule-Arbeit einsetzt, widmet sich nach wie vor dem Thema „Corona-Krise und Bildung“ (Weinheimer Initiative).

Das Forschungsprojekt LokU 2.0 fokussiert die Entwicklung sozialer, helfender Netzwerke im Themenfeld Integration von jungen neu Zugewanderten in Ausbildung und Arbeit. Diese lokalen Netzwerke bestehen aus professionell oder rein ehrenamtlich organisierten Organisationen aus der Zivilgesellschaft, den Akteur:innen in kommunalen Strukturen und aus der Wirtschaft (z.B. Netzwerke von Migrantenorganisationen, Träger der Jugendsozialarbeit, Sozialreferat, Jobcenter, Handwerkskammern). Viele konnten nach der schwierigen Situation während der Corona-Pandemie kaum Luft holen vor dem Hereinbrechen der nächsten Herausforderungen. Wir sind daher gespannt auf die Entwicklungen und Problemlösestrategien im Handlungsfeld, die nicht losgelöst von den Chancen und Begrenzungen der politischen Entscheidungen auf Bundes- und EU-Ebene sein werden.

Methodisch haben wir uns für die Delphi-Befragung entschieden, mittels der die Akteure zu den Folgen und Potenzialen der Corona- und Postpandemiephase in einer Online-Umfrage zu drei Zeitpunkten befragt werden. Basierend auf dem Forschungsstand und den derzeit laufenden Hintergrundgesprächen mit koordinierenden Akteur:innen des sozialen, helfenden Netzwerks bereiten wir die Online-Umfrage vor, die im Spätherbst 2023 starten soll.

Darüber hinaus werden unterschiedliche Perspektiven des freiwilligen Engagements qualitativ erhoben, in dem Interviews mit freiwillig Engagierten und deren Koordinator:innen sowie jungen Zugewanderten geführt werden.

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Lokale Unterstützungsketten für junge neu Zugewanderte – Wandel und Potenziale im Zeichen der Corona-Pandemie

BMBF-Förderrichtlinie „Gesellschaftliche Auswirkungen der Corona-Pandemie − Forschung für Integration, Teilhabe und Erneuerung“

Projektleitung: Prof. Dr. Nicole Pötter

Projektmitarbeitende: Theresa Grüner, Bernhard Scholze

Projektlaufzeit: 1. Februar 2023 bis 31. Januar 2026

Projekthomepage

Kontakt: loku@hm.edu

Schlagworte:

LokU 2.0, junge neu Zugewanderte, lokale Unterstützungsketten, Berufsintegration, Freiwilliges Engagement

„Kann Soziale Arbeit jede:r?“

von Nicole Pötter

Am Donnerstagabend, den 22.6.2023 stellten die Vertreter:innen der GEW, der Fachgruppe Erziehung Ver.di und des DBSH ihre Stellungnahme „Kann Soziale Arbeit jede:r?“ – De-Konstruktion des Fachkräftemangels – in der Aidshilfe München vor. Unter den anwesenden Teilnehmer:innen waren Fachkräfte und politisch Verantwortliche vom Münchener Stadtrat sowie die dritte Bürgermeisterin Verena Dietl.

Verena Dietl, dritte Bürgermeisterin der Stadt München und selbst studierte Sozialarbeiterin, hört sich die Sorgen der Teilnehmer:innen an. Foto: Christian Lohwasser

Ebenfalls waren Vertreter:innen der öffentlichen und kirchlichen Hochschulen sowie Studierende der Sozialen Arbeit anwesend. Die umfangreiche Analyse der gewerkschaftlichen Vertreter:innen zeigte die Komplexität des Themas „Fachkräftemangel in der Sozialen Arbeit“ auf und machte deutlich, dass es vieler unterschiedlicher Maßnahmen bedarf, um einerseits die Qualität der Sozialen Arbeit zu sichern und andererseits die Bedarfe im sozialen und pädagogischen Handlungsfeld einigermaßen zu erfüllen.

Der Fachkräftemangel hat auch deshalb einschneidende Auswirkungen, weil er dazu führen könnte, dass die Standards des Studiums selbst in Mitleidenschaft gezogen werden. Ein Großteil des Zuwachs an Studienplätze in den letzten Jahren erfolgte vor allem an den privaten Hochschulen, die Studierende als Kund:innen verstehen und den staatlichen Bildungsauftrag daher nur bedingt erfüllen können. Darüber hinaus fehlt es zunehmend an Fachkräften, die als Anleiter:innen während der Praxissemester den eigenen Nachwuchs mit ausbilden können. Immer häufiger muss das Praktikantenamt Stellen ablehnen, weil keine sozialpädagogische Fachkraft für die Anleitung zur Verfügung steht. Wie auf der Veranstaltung deutlich angesprochen wurde, gibt es für Anleiter:innen zudem weder Arbeitsentlastungen noch finanzielle Anreize, um diese durchaus herausfordernde Aufgabe zu übernehmen. Für die Studierenden selbst, die zu über 80% neben dem Studium arbeiten müssen, um ihren Unterhalt zu finanzieren, ist das Praxissemester ebenfalls eine Herausforderung, denn die gezahlten Vergütungen bewegen sich zwischen 0 und bestenfalls 600 €, eine Nebentätigkeit ist aber in dieser Zeit praktisch nicht möglich. Zudem ist der empfohlene Betrag von 600 € seit der Einführung der Bachelorstudiengänge nicht mehr angeglichen worden, was angesichts der aktuellen Inflation dringend einer Überarbeitung bedürfte. In Dualen Studiengängen erhalten Studierende zwar immerhin 1000 € Vergütung für ihre Arbeitsleistung – warum kann man Studierenden im Praxissemester eigentlich nicht die gleiche Vergütung anbieten? – hier bestehen aber für die Anleiter:innen zusätzlich Anforderungen, da die Studierenden bereits im ersten Semester (und nicht erst im fünften Semester, wie bei den Praktikant:innen) in den Fachstellen sitzen – meist ohne geeigneten Arbeitsplatz oder Ausstattung.  

Das Fazit des Austausch, war aus meiner Sicht, dass es dringend einer nachhaltigen Strategie für die anstehenden Jahre bedarf und dass sich hier weder die Bundes-, Landes- oder kommunale Politik aus der Verantwortung ziehen darf. Gleiches gilt für die Fachvertreter:innen und Hochschulen.

Call für den geplanten Band  „Fachkräftemangel und De-Professionalisierung in der Sozialen Arbeit – Analysen und Bestandsaufnahmen“

Die AG Soziale Arbeit möchte auf den Call für den geplanten Band „Fachkräftemangel und De-Professionalisierung in der Sozialen Arbeit – Analysen und Bestandsaufnahmen“ aufmerksam machen, der in der DGSA Schriftenreihe „Theorie, Forschung und Praxis der Sozialen Arbeit“ im Verlag Barbara Budrich erscheinen soll:

Der Fachkräftemangel und die damit einher gehenden Tendenzen der De-Professionalisierung und der Aufweichung fachlicher Standards werden aktuell in der Sozialen Arbeit an unterschiedlichen Orten kontrovers diskutiert, sei es in den verschiedenen Handlungsfeldern und Angebotsstrukturen, den beteiligten Studiengängen und Fakultäten, den unterschiedlichen Ebenen des politischen Systems sowie in Betriebsgruppen, Gewerkschaften und Nutzer:innengruppen. In diesem Band sollen sowohl Hintergründe und Problemdiagnosen als auch Lösungsansätze und dafür notwendige Forderungen stärker systematisiert zusammengetragen und aufbereitet werden. Dabei sollen mit den Beschäftigungsverhältnissen, den Lehr-, Studien- und Forschungsbedingungen sowie der Verfasstheit der sozialen Angebots- und Infrastruktur die unterschiedlichen Ebenen desFachkräftemangels in ihren Bedingungen und ihren gegenseitigen Verschränkungen betrachtet werden.

Abstracts: bis 01.09.2023

Beiträge: bis 10.01.2024

Erscheinungstermin: Herbst 2024

Herzliche Grüße,

Anne van Rießen, Julia Franz und Christian Spatscheck

Veranstaltungshinweis zur Fachkräfteentwicklung in der Sozialen Arbeit

Allerorten werden Fragen der Fachkräfteentwicklung und der Sicherung professioneller Standards (berufliche Qualifikation, fachliche Standards) diskutiert. Auch an der Fakultät 11 der Hochschule München haben wir uns mit der Thematik in unterschiedlichen Zusammenhängen mehrfach auseinandergesetzt.

An dieser Stelle möchten wir Sie/euch als AG Soziale Arbeit auf eine am Donnerstag, den 22.06.2023 zu dieser Thematik stattfindenden Veranstaltung von GEW, ver.di und DBSH verweisen.   

Gerd Stecklina

Berät der Bot!? – KI Textgeneratoren in der Onlineberatung

von Prof. Emily Engelhardt

Die Diskussionen um die Bedeutung der täglich aus dem Netz ploppenden KI-Anwendungen nimmt nicht ab. Inzwischen hat vermutlich jede:r kapiert, dass generative KI enorme Auswirkungen auf unser gesamtes Leben haben wird und – wenn man genauer hinsieht – bereits hat. Wie so oft reicht das Spektrum von Begeisterung bis hin zu dystopischen Horrorszenarien über unsere Zukunft. Und so sollte sich auch die Soziale Arbeit mit der Frage beschäftigen, welche Bedeutung KI für die Handlungsfelder hat und wie mit den möglichen Auswirkungen umgegangen werden kann.

Wird Onlineberatung, wie sie bei vielen Trägern in Form von Mail- oder Chatberatung angeboten wird, künftig von der KI abgelöst? Berät der Bot in Zukunft Menschen, die sich mit Sorgen und Nöten an eine Beratungsstelle wenden und Unterstützung suchen?

Generative KI kann (noch) keine Beratung für uns übernehmen

Wenn man Beratungsgespräche lediglich als einfaches Frage-Antwort-Spiel betrachtet, könnte man zu dem Schluss kommen, dass generative KI dies durchaus übernehmen könnte. Doch wenn ich von Beratung spreche, meine ich einen „Prozess, bei dem Ratsuchende durch die Interaktion mit einer anderen Person Klarheit über Probleme, Bewältigungsmöglichkeiten, Entscheidungsalternativen und Entwicklungsperspektiven gewinnen“ (Rechtien 2018) (siehe: https://www.socialnet.de/lexikon/Beratung).

Bereits in dieser Definition steckt ein wichtiger Aspekt: Beratung ist eine Interaktion zwischen zwei Menschen und nicht zwischen Mensch und Maschine (oder einer Webseite mit FAQ-Liste, auf der man nach Informationen sucht). An diesem Punkt könnte der Blogartikel eigentlich enden. Doch es gibt noch mehr zum Thema zu sagen und warum diese Interaktion zwischen Menschen stattfindet und nicht durch eine Interaktion zwischen Mensch und Maschine ersetzt werden kann.

Kritik von Noam Chomsky und anderen Linguisten

Kürzlich haben Noam Chomsky et al. in der New York Times einen Essay veröffentlicht, der versucht, den aktuellen Hype um die nahezu menschenähnlichen Fähigkeiten von ChatGPT etwas zu bremsen. In dem Artikel mit dem Titel „AI Unravelled: The false promise of ChatGPT“ beschreiben Chomsky und seine Kolleg:innen, warum ChatGPT zumindest aus linguistischer Sicht überbewertet wird. Sie kommen zu dem Schluss:

However useful these programs may be in some narrow domains (they can be helpful in computer programming, for example, or in suggesting rhymes for light verse), we know from the science of linguistics and the philosophy of knowledge that they differ profoundly from how humans reason and use language. These differences place significant limitations on what these programs can do, encoding them with ineradicable defect.“(Chomsky, Roberts, Watumull, o. S. 2023)

(Eigene Übersetzung: „Obwohl diese Programme in einigen engen Bereichen nützlich sein können (sie können zum Beispiel bei der Programmierung oder beim Vorschlagen von Reimen für leichte Verse hilfreich sein), wissen wir aus der Linguistik und der Erkenntnistheorie, dass sie sich grundlegend von der Art und Weise unterscheiden, wie Menschen denken und Sprache verwenden. Diese Unterschiede setzen ihnen erhebliche Grenzen, die sie mit unüberwindbaren Defekten versehen“).

Während ChatGPT eine statistische Maschine ist, die mit enormen Datenmengen gefüttert werden muss, um dann nach dem Prinzip der „Beschreibung und Vorhersage“ (description and prediction) eine wahrscheinliche Antwort auf eine Unterhaltung zu generieren, benötigt der Mensch vergleichsweise wenig Informationen und ist in der Lage, Erklärungen zu liefern, was wiederum ein Ausdruck echter Intelligenz sei.

Unterschiedliche Arten von Chatbots

Alison Darcey, die Gründerin von woebothealth, die verschiedene Chatbots für psychische Gesundheit entwickelt hat, beschreibt die Fähigkeiten und Einsatzmöglichkeiten von generativer KI ebenfalls als begrenzt. Sie unterscheidet dabei zwischen verschiedenen Arten von Chatbots. Während ein LLM wie ChatGPT völlig neue Sätze generiert, die auf Wahrscheinlichkeiten beruhen, basiert ein Modell wie Woebot auf einem hochkomplexen Entscheidungsbaum oder Wissensgraphen, der sorgfältig mit ML/NLP-Klassifikatoren entwickelt wurde. Diese Klassifikatoren werden aus gekennzeichneten Datensätzen abgeleitet und auf Gesamtgenauigkeit, Präzision und Erinnerung überwacht. Das grundlegende „Format“ des Gesprächs orientiert sich daran, wie Kliniker Probleme angehen. Es handelt sich also um „Expertensysteme“, die speziell darauf ausgerichtet sind, die Entscheidungsfindung von Klinikern während einer Interaktion zu replizieren (siehe: https://woebothealth.com/why-generative-ai-is-not-yet-ready-for-mental-healthcare/).

Kurz gesagt: Ein im maschinellen Lernen trainiertes Modell eignet sich besser für medizinische/therapeutische Gespräche als ein LLM, da es im Gegensatz zu letzterem keine Halluzinationen erzeugen würde und somit keine potenziell gefährlichen Antworten liefere.

Vorteile und Potenzial von LLMs in der Beratung

Was LLMs so attraktiv und faszinierend macht, ist, dass ihre Antworten oft weniger „statisch“ klingen und auf den ersten Blick kaum von einer menschlichen Antwort zu unterscheiden sind. Wenn man dann noch die Möglichkeit betrachtet, ChatGPT mit einer menschlichen Stimme zu trainieren und über die ChatGPT-API über den Facebook Messenger laufen zu lassen, wie kürzlich am Beispiel des bereits verstorbenen Apple-Gründers Steve Jobs geschehen (siehe: https://www.macwelt.de/article/1665621/chatty-ai-steve-jobs-spricht-aus-dem-grab.html), kann man sich vorstellen, welches Potenzial darin auch für Beratung & Therapie steckt.

Empathische Bewertung der KI-generierten Textantworten

Ebenfalls nicht zu unterschätzen ist die Tatsache, dass in einer Studie von Sharma et al. (2022) die von der KI generierten Textantworten als empathischer bewertet wurden als die von Menschen (siehe: https://arxiv.org/abs/2203.15144). Diese Erkenntnis unterstreicht das Potenzial von generativer KI in der Beratung und legt nahe, dass KI-gesteuerte Systeme in der Lage sind, unterstützende und einfühlsame Antworten zu generieren. Gleichwohl ersetzen sie menschliche Interaktion und Einfühlungsvermögen nicht – die KI ‚fühlt‘ nicht, sie simuliert nur. Das aber oft erstaunlich gut. Interessant könnte also sein den Fokus darauf zu legen, wie die Kombination von menschlicher emotionaler Intelligenz sowie Fachwissen und KI-Unterstützung zusammenwirken können. Und ob sich daraus tatsächlich ein Mehrwert für die Adressat:innen Sozialer Arbeit, aber auch für die Fachkräfte ergibt.

Was heißt denn hier „Transfer“?

„Transfer“ im Sinne von „etwas von Wert übermitteln“, könnte auch so verstanden werden: Die Hochschule übergibt ihre Erkenntnisse und Erfindungen in handlichen Päckchen an die Praxis zur weiteren Verwendung und lehnt sich zufrieden zurück. Und andersherum, die Praxis legt ihre Anliegen auf der Türschwelle der Hochschule ab, in der Hoffnung, man möge sich ihrer annehmen. Nein, so denken wir nicht über Transfer, wie unsere Diskussionen auf einer zweitägigen Klausur der Fakultät für angewandte Sozialwissenschaften Anfang Mai 2023 gezeigt haben.

Aber der Reihe nach: Wieso ist „Transfer“ eigentlich so ein gehyptes Thema an den Hochschulen? Das liegt an einer langjährig vollzogenen Ausweitung der Kernaufgaben der Hochschulen, die in eine Stärkung der sog. Third Mission eingemündet ist, welche mittlerweile von vielen als ein eigenständiges Aufgabenfeld der Hochschulen neben Lehre und Forschung begriffen wird. Eine Mission von hoher und weiter steigender Bedeutung, wie das Centrum für Hochschulentwicklung (CHE 2016, 2020) ausführt. Zu diesem Aufgabenfeld gehören Aktivitäten wie „Wissens- und Technologietransfer, regionales Engagement, Weiterbildungsangebote und Soziale Innovationen“.

https://www.che.de/third-mission/

Während der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft in seinem Transferbarometer nahezu alle Aktivitäten einer Hochschule dem Thema Transfer unterordnet und auch gleich ein Transfer-Audit vorgelegt hat, in dem sich Hochschulen beweisen und an entsprechenden Kriterien ausrichten können, schauen die wissenschaftspolitischen Gremien differenzierter auf die Sache.

Zwar erwartet der Senat der Hochschulrektorenkonferenz (HRK-Entschließung 2016) von den Hochschulen „Leistungen, die für die wissenschaftliche, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung Deutschlands von entscheidender Bedeutung sind“. Und der Wissenschaftsrat empfiehlt den Hochschulen und Forschungseinrichtungen (WR-Positionspapier 2016), „die Förderung von Transferaktivitäten als strategische Aufgabe zu verstehen und auf Leitungsebene dafür Verantwortung zu übernehmen“. Vor allem betonen beide Organisationen den dafür notwendigen „Dialog mit Partnern aus Politik, Zivilgesellschaft, Wirtschaft oder Kultur“, um gemeinsam Veränderungsbedarfe zu erkennen und zu bearbeiten.

Allerdings schließt sich die HRK nicht der Auffassung an, die dritte Mission trete eigenständig neben Lehre und Forschung, sondern betont, dass diese sich „durchweg auf Basis der und synergistisch zu den Kernkompetenzen Forschung und Lehre“ entwickele und deshalb Teil der Grundfinanzierung der Hochschulen sein müsse (ebd.). Und auch der Wissenschaftsrat hat einen Blick dafür, dass „solche Austauschprozesse aufwändig sind und Zeit, Personal und Geld benötigen“ (ebd.).

https://www.stifterverband.org/transferbarometer

https://www.stifterverband.org/transfer-audit

https://www.hrk.de/positionen/beschluss/detail/transfer-und-kooperation-als-aufgaben-der-hochschulen/

https://www.wissenschaftsrat.de/download/archiv/5665-16.html

Soweit, so anspruchsvoll. Wie soll sich nun eine sozialwissenschaftliche Fakultät in diesem Anspruchs-Dschungel einen Weg bahnen? Schauen wir in die Geschichte unserer Fakultät, so sehen wir: Transfer hat Tradition. Bereits in den 70er Jahren haben Kolleg:innen mit den Student:innen interdisziplinäre Projektstudien aufgelegt, die zu einem regen Austausch mit regionalen Stadtteilen, Trägern und Einrichtungen und zu gemeinsam ersonnenen konzeptionellen Neuentwicklungen bis hin zu deren institutioneller Verankerung geführt haben.

Hieran würden wir gerne systematischer anknüpfen und unser eigenes transdisziplinäres und transformatives Verständnis von Transfer sowie unsere Transferpraxis weiterentwickeln. Dazu bald mehr an dieser Stelle.

Gunda Sandmeir, Ursula Unterkofler und Gabriele Vierzigmann für die Fakultätsgruppe Transfer